Die ökonomische Macht: die Gewalt eines 'verschuldenden Kultus'
In seinem Fragment Kapitalismus als Religion bezieht sich Benjamin von den ersten Zeilen an, auch um ihn zu kritisieren, auf Max Weber. Doch bei genauerem Besehen entpuppt sich Benjamins Bestimmung des Kapitalismus als Religion als eine Radikalisierung der Weberschen These über den Ursprung des Kapitalismus durch einen impliziten Gebrauch des theologisch-politischen Paradigmas, an dem Benjamin zur gleichen Zeit wie Carl Schmitt arbeitete. Vor diesem Hintergrund wird Benjamins Definition des Kapitalismus als eines „verschuldenden Kultus“ in seinem Fragment von 1921 im folgenden Beitrag
mit jenen Analysen in Beziehung gebracht, die Benjamin in anderen Schriften dieser Zeit erstellte (in Schicksal und Charakter und Zur Kritik der Gewalt). Das
Hauptanliegen dieses Beitrages also besteht im Nachweis, wie in Kapitalismus als Religion Schuld vor allem als inneres Dispositiv der ökonomischen Macht verstanden wird, während im Zentrum jener Texte eine mit der Gewalt des Rechts verbundene rechtliche Idee der Schuld steht. Indem er die semantische Ambivalenz des deutschen Wortes ‚Schuld‘ aufarbeitet, zeichnet Benjamin durch Nietzsche, Marx und Freud eine Beziehung zwischen Christentum und Kapitalismus nach, die in seiner Analyse radikaler und vielschichtiger als bei Weber ausfällt, und beleuchtet eine ökonomische Valenz der Schuld, durch
welche sich eine von der rechtlichen Macht differente und auf eine andere Weise gewaltsame Form von Macht entwickelt.